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Schloss oder Herrenhaus – eine philosophische Betrachtung

Schloss oder Herrenhaus? Güldengossa bei Leipzig

Schloss oder Herrenhaus? Güldengossa bei Leipzig

Schloss oder Herrenhaus? Für herrschaftliche Gebäude im ländlichen Raum, die seit dem 15. Jahrhundert in Deutschland errichtet wurden, werden beide Begriffe gebraucht. Wann ist ein solches Gebäude ein Schloss, wann ist es ein Herrenhaus?

Schloss und Burg wurden ursprünglich in ähnlicher Bedeutung verwendet. Unter einem Schloss verstand man im Mittelalter einen Türriegel – also das Tür- oder Torschloss – übertragen wurde der Begriff dann auch auf ein Gebäude, in dem man sich zur Verteidigung einschließen konnte, während man sich in der Burg verbergen konnte.

Seit der Neuzeit wird der Begriff der Burg für mittelalterliche Wehranlagen verwendet. Ein Schloss bezeichnet in unserem heutigen Verständnis ein unbefestigtes Wohngebäude in adligem Besitz, das keine Verteidigungsfunktionen hat und hauptsächlich dem Wohnen und Repräsentieren dient. Eine klare Abgrenzung von Schloss zum Herrenhaus fehlt aber.

Herren- oder Gutshäuser bezeichnen Gebäude, die von Landadligen oder Gutsherren bewohnt wurden. Hier ergibt sich schon eine erste Ungenauigkeit, da sich Gutshöfe auch im landesherrlichen Besitz befanden oder Eigentum von Mitgliedern des Hochadels waren, die nicht ständig in diesen Gebäuden wohnten. Der Begriff Gutsherr schließt auch Mitglieder des Bürgertums ein, die seit dem 18. Jahrhundert Schlösser und Gutshöfe erwarben oder neu errichten ließen.

Die Unterscheidung zwischen Herrenhaus und Schloss durch ihre Bewohner ist also nicht möglich, möglich wäre sie durch ihre Funktion. Ein Herrenhaus ist der Mittelpunkt eines landwirtschaftlichen Gutes. Das Schloss weist keine Verbindung zu einer landwirtschaftlichen Tätigkeit auf.

Auch die Definition, ein Schloss ist ein Gebäude im landesherrlichen Besitz und ein Herrenhaus ist ein Gebäude, das sich nicht in landesherrlichem Besitz befand, erscheint durchaus schlüssig.

Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich für viele Herrenhäuser der Begriff Schloss eingebürgert. Dies könnte einerseits bei einigen Objekten auf die im Mittelalter vorherrschende Vermischung der Begriffe Burg und Schloss zurückgehen. Auf alten Flurkarten finden sich Flurnamen, wie Altes Schloss, Wüstes Schloss u.ä., die aus der Vorzeit übernommen und auf die neu errichteten Gebäude übertragen wurden. Ein anderer Anhaltspunkt ist die künstlerische Qualität dieser Herrenhäuser. Besonders die Mitglieder des Hochadels ließen es sich nicht nehmen, ihre Bauten von berühmten Architekten planen und Maler, Bildhauer und Stuckateure aus ganz Europa für sich arbeiten zu lassen. So zeichnet z.B. der Schöpfer des Zwingers in Dresden, Matthäus Daniel Pöppelmann, auch für ländliche Schlösser verantwortlich, wie z.B. das Jagdhaus Kössern bei Grimma und der kursächsische Landesbaumeister David Schatz war der Baumeister u.a. des Schlosses Knauthain bei Leipzig, des Schlosses Burgscheidungen an der Unstrut und vermutlich auch des Schlosses in Brandis bei Leipzig.

Fabrikantenvilla oder Schloss? Lingnerschloss in Dresden

Fabrikantenvilla oder Schloss? Lingnerschloss in Dresden

Die Unterscheidung zwischen Schloss und Herrenhaus nach der künstlerischen Qualität des Objektes ist schwierig, weil nur nach subjektiven Auswahlkriterien möglich. Womöglich würde man damit auch den Gebäuden Unrecht tun, die nach 1945 umgebaut und verändert und dadurch ihres Fassadenschmucks und ihrer Ausstattung beraubt wurden.

Eine Verwässerung des Begriffes Schloss setzte im 19. Jahrhundert ein, als reiche Fabrikanten ihre Villen errichten ließen und diese wie selbstverständlich als Schlösser bezeichneten. Beispiele dafür sind das Schloss Eckberg und das Lingnerschloss in Dresden, zwei der drei Elbschlösser.

Selbst in der Fachliteratur findet man nur wenige Hinweise und Definitionsversuche. Hier werden die gebräuchlichen Bezeichnungen meist übernommen oder in erläuternden Texten zwischen den Begriffen Schloss und Herrenhaus gesprungen.

Eine eindeutige Definition zu finden, was ist ein Schloss und was ist ein Herrenhaus, ist also schwierig. Fände man sie, dürfte es noch schwieriger sein, diese dann auch in den allgemeinen Sprachgebrauch zu etablieren. So wird es auch weiterhin dem Auge des Betrachters überlassen bleiben, selbst zu entscheiden, was er für ein Schloss und was er für ein Herrenhaus hält.

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Autor: Mirko Seidel am 26. Sep 2013 10:31, Rubrik: Artikel, Artikel & Berichte, Kommentare per Feed RSS 2.0, Kommentar schreiben,


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