Sachsen

Das Waldstraßenviertel in Leipzig – Historismus in seiner schönsten Form

Wohnhaus Tschaikowskistraße 31 LeipzigDas Waldstraßenviertel, nordwestlich der Innenstadt von Leipzig, ist eines der schönsten Gründerzeitviertel in Deutschland. Im 2. Weltkrieg weitgehend verschont geblieben, kamen danach 40 Jahre DDR. Man kümmerte sich nicht um die Gebäude, sie verfielen. Ende der 1980er Jahre war der Zustand der Häuser im Waldstraßenviertel so schlecht, dass der Abriss bereits beschlossen war. Das Wohnquartier sollte verschwinden und mit Plattenbauten bebaut werden. Die Friedliche Revolution 1989 kam genau richtig. Die Stadt Leipzig hat eine Sanierungssatzung erlassen, nach der jedes historische Gebäude im Waldstraßenviertel originalgetreu wiederhergestellt werden musst. Heute stehen die meisten der Wohnhäuser aus der 19. und frühen 20. Jahrhundert unter Denkmalschutz.

Geschichte

Italienische Villa Leipzig

Italienische Villa Leipzig

Das Gebiet des Waldstraßenviertels gehörte zur Sumpflandschaft der Leipziger Flüsse. Wald und Wiesen prägten das Gebiet. Die Via Regia, eine mittelalterliche Fernhandelsstraße, führte durch diese Sumpflandschaft, heute der Verlauf der Jahnallee und des Ranstädter Steinwegs. Iroschottische Missionare nutzten die Via Regia bereits im 7. Jahrhundert und gründeten mit der Jakobskapelle die erste Kapelle im späteren Stadtgebiet von Leipzig. Bereits im Mittelalter fanden Flussregulierungsmaßnahmen statt, so entstanden der Elstermühlgraben und der Pleißemühlgraben.

Villa Gustav-Adolf-Straße 13 Leipzig

Villa Gustav-Adolf-Straße 13 Leipzig

Bereits im Mittelalter war die Via Regia im Bereich des Ranstädter Steinwegs von zwei Häuserreihen gesäumt – die Mühlgrabensiedlung und neben der Jakobskapelle das Jakobsviertel oder Jakobsparochie. Hinzu kam das 1295 erstmals erwähnte Naundörfchen.
Aus diesen Siedlungen entstand im 12. Jahrhundert die Ranstädter Vorstadt oder Rannische Vorstadt, die an der jetzigen Leibnizstraße durch das Äußere Rannische Tor abgeschlossen wurde. In der Rannischen Vorstadt wohnten wegen der beiden Mühlgräben vor allem Fleischer, Gerber, Färber und Fischer.

1212 wurde auf Geheiß des Markgrafen Dietrich I. von Meißen das Georgenhospital zwischen Elstermühlgraben und Pleiße am Rand zum Rosental erbaut. An der heutigen Funkenburgstraße entstand um 1600 ein Vorwerk, die Große Funkenburg, mit großem Garten, zwei Seen und mehreren Nebengebäuden.

Wohnhaus Leibnizstraße 11 Leipzig

Wohnhaus Leibnizstraße 11 Leipzig

Ab etwa 1830 wuchs die Bevölkerung der Stadt Leipzig sprunghaft an, so dass eine weitere Bebauung des Waldstraßenviertels nötig wurde. Ab etwa 1830 entstanden so der Bereich der Lortzingstraße/Rosentalgasse, etwa 1860 erfolgte das Gebiet der Leibnizstraße, die Anlage des Waldplatzes und des südlichen Teils der Waldstraße mit ihren Seitenstraßen bis zur Fregestraße.

Nach dem Abriss der Großen Funkenburg im Jahre 1897 wurde das noch verbliebene Gelände an der Funkenburg- und Tschaikowskistraße in das rechteckige Straßenmuster einbezogen und das Viertel nach Norden bis zur Christianstraße erweitert. Der nördliche Teil des Waldstraßenviertels entstand in offener Blockrandbebauung in der Formensprache des Jugendstils. 1892 wurde am Elstermühlgraben ein Gartenrestaurant und Café erbaut, das wegen der ehemals mückenreichen Gegend den Namen Mückenschlösschen trägt.

Sportoberschule Leipzig

Sportoberschule Leipzig

Jüdische Händler siedelten sich oft im Waldstraßenviertel an. Fast 20 % der Bevölkerung waren jüdischer Herkunft. Es entstanden verschiedene jüdisch-soziale Institutionen, wie das Eitingon-Krankenhaus oder die Ariowitsch-Stiftung als Altersheim. Die Juden des Waldstraßenviertels waren vor allem in der Rauchwarenindustrie beschäftigt. Bis 1933 lebten etwa 2.500 jüdische Menschen im Waldstraßenviertel.
Der Bereich zwischen Christian- und Goyastraße wurde als letzter Bauabschnitt etwa ab 1925 bis in unsere heutige Zeit Jahre bebaut. Neben Wohnhäusern befinden sich hier unter anderem das ehemalige jüdische Krankenhaus und die Sportoberschule Leipzig.

Rundgang durch das Waldstraßenviertel

Naturkundemuseum Leipzig

Naturkundemuseum Leipzig

Der Rundgang durch das Waldstraßenviertel in Leipzig beginnt am Naturkundemuseum [1]. 1837 bis 1839 wurde das Gebäude als Zweite Bürgerschule durch Albert Geutebrück gebaut, ab 1920 war es Messehaus und seit 1923 Naturkundemuseum.

In der Lortzingstraße steht das Haus „Blaue Mütze“. Das 1879 für den Operndirektor Heinrich Behr gebaute Haus erinnert mit seiner Maske mit blauer Zipfelmütze über dem Eingang sowie den Daten 1740-1879 an das Gasthaus „Blaue Mütze”, dass sich allerdings am Ende der Gasse befand.

An der Kreuzung mit der Humboldtstraße [2] befindet sich eine kleine Grünfläche. Hier stand eine Burg in der Sumpflandschaft von Pleiße und Parthe, die slawische Siedler vermutlich im 7. Jahrhundert anlegten – der Ursprung der Stadt Leipzig. Bis Ende des 19. Jahrhunderts hieß die Lortzingstraße „Alte Burg“.

Der Lortzingstraße folgend erreicht man die Emil-Fuchs-Straße am Rosental und an der Rosentalgasse das Rosentaltor [3]. Nach der Aufgabe der Stadtmauer im 19. Jahrhundert wurden an den Ausfallstraßen äußere Stadttore errichtet, die der Kontrolle der Waren und des Zugangs in die Stadt dienten. Zu dem 1850 bis 1855 errichteten Rosentaltor gehörten zwei Torbauten an der Straße, die abgebrochen wurden. Von dem nordwestlichen äußeren Stadttor zum Rosental blieben ein Gitter und ein Fahnenmast erhalten.

Portal Rosentalgasse 7 Leipzig

Portal Rosentalgasse 7

Der Rosentalgasse [4] folgend erreicht man nach der Humboldtstraße den ältesten erhaltenen Teil des Waldstraßenviertels. Im 1854 erbauten Haus Rosentalgasse 9 war die Lederwarenfabrik Albin Berlepsch untergebracht. Das Wohnhaus Rosentalgasse 7 wurde 1859 gebaut. Der viergeschossige Rechteckbau hat eine Putzfassade, Fenstergewände mit Verstabungen und ein neogotisches Portal mit Statue.

Von der Rosentalgasse führt der Rundgang zum Ranstädter Steinweg und überquert den Elstermühlgraben [5]. Hier stand die Angermühle, an die eine Gedenktafel am Treppenabgang an der Jacobstraße zum Elstermühlgraben erinnert. Die Italienische Villa Leipzig wurde 1870 durch den Architekten Julius Steib gebaut. Der Kopfbau einer Wohnbebauung am Zusammenfluss von Elstermühlgraben und Pleißemühlgraben wartet mit einer reich dekorierten Fassade auf.

Am Wohnhaus Jacobstraße 1 befindet sich eine Gedenktafel für die Jakobskapelle, die von iro-schottischen Einwanderern gebaut wurde und die erste christliche Kapelle Leipzigs war. Der Jacobstraße folgend erreicht man wieder die Humboldtstraße. Auf der Brücke über den Elstermühlgraben [6] steht eine Bronzeplatte mit der historischen Bebauung des Waldstraßenviertels. Das ehem. Verwaltungsgebäude der Fa. Kell & Löser AG für Hoch- und Tiefbau wurde 1922 bis 1923 gebaut. Seine rote Klinkerfassade weist Ornametik im Stil des Art Déco auf.
An der Jacobstraße steht das Gebäude der Ev.-Freikirchlichen Gemeinde Leipzig (Brüdergemeinde). Das Haus aus dem frühen 20. Jahrhundert wurde 1952 bis 1954 nach Kriegszerstörung wiederaufgebaut.

Der Rundgang führt nun durch die Gustav-Adolf-Straße [7]. Auf der linken Seite steht das Zentrum für barrierefreies Lesen, die frühere Deutsche Zentralbücherei für Blinde. Der ältere Gebäudeteil wurde 1913 von Ephraim Carlebach als Volks- und Höhere israelitische Schule errichtet. Eine Gedenktafel erinnert an die Schule und die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung. Der Neubau der Bücherei wurde 1963 eingeweiht.

Villa Gustav-Adolf-Straße 12 Leipzig

Villa Gustav-Adolf-Straße 12 Leipzig

An der Villa Gustav-Adolf-Straße 12 erinnert eine Gedenktafel an den Komponisten Gustav Mahler, der von 1886 bis 1888 hier wohnte.

Vorbei an Wohnhäusern und Villen aus dem 19. Jahrhundert erreicht man die Leibnizstraße. Ihr nach links folgend kommt man zur Jahnallee [8]. An der Kreuzung stand das Äußere Ranstädter Tor, eine weiteres äußeres Stadttor von Leipzig. Die Jahnalle war Teil der Via Regia, die von Leipzig in Richtung Frankfurt am Main führte. Die Bebauung der Jahnalle entstand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Besonders aufwändig wurden die Eckhäuser gestaltet.

Waldplatzpalais Leipzig

Waldplatzpalais Leipzig

Der Jahnallee folgend führt der Rundgang durch das Waldstraßenviertel zum Waldplatz [9]. Auf dem dreieckigen Platz steht die Brunnenfigur „Tanzende Frau“. Gesäumt ist der Waldplatz von prächtigen Fassaden. Besonders sticht das Waldplatzpalais [10] an der Friedrich-Ebert-Straße hervor.

Vom Waldplatz führt der Rundgang durch das Waldstraßenviertel in die Friedrich-Ebert-Straße. Auf der linken Seite steht die Arena Leipzig [11], eine 2002 eingeweihte Multifunktionshalle für Sport- und Musikveranstaltungen.

Durch die Hinrichsenstraße erreicht man die Waldstraße, die dem Viertel ihren Namen gab. Auch hier stehen Wohnhäuser mit prächtigen Fassaden, besonders erwähnenswert sind die Eckhäuser an der Feuerbachstraße [12].

Durch die Feuerbachstraße, Max-Planck-Straße und Christianstraße erreicht man die Eitingonstraße. Am Robert-Koch-Platz steht das Eitingonhaus [13]. Das 1925 bis 1928 durch den Stifter Chaim Eitingon errichtete Gebäude wurde als Israelitisches Krankenhaus genutzt und ist die erste jüdische Klinik in Sachsen.

Eitingonhaus (Städtisches Klinikum St. Georg, Haus Eitingon) Leipzig

Eitingonhaus (Städtisches Klinikum St. Georg, Haus Eitingon) Leipzig

Der nordwestliche Teil des Waldstraßenviertels wurde erst nach 1990 bebaut. An der Goyastraße steht die 2018 eingeweihte Sportoberschule Leipzig [14]. Am Ende der Goyastraße erreicht man wieder die Waldstraße. Hier steht die Gaststätte Mückenschlösschen [15]. Das 1892 eröffnete Ausflugslokal am Rosental erinnert mit seinem Namen an die Legende, dass das Pferd des Kurfürsten August des Starken von Mücken attackiert und seinen Reiter abgeworfen haben soll.

Wohnhaus Christianstraße 4 Leipzig

Wohnhaus Christianstraße 4 Leipzig

Durch die Christianstraße führt der Rundgang durch das Waldstraßenviertel zum Elstermühlgraben. Die Christianstraße ist mit villenartigen Gebäuden bebaut [16]. Hier handelt es sich aber um Mehrfamilienhäusern mit Etagenwohnungen. Der Liviaplatz [17] ist ebenfalls mit prächtigen Wohnhäusern bebaut. Liviaplatz, Christianstraße und Fregestraße erinnern an die Leipziger Kaufmanns- und Bankiersfamilie Frege, die die einstige Sumpflandschaft aufschütten und erschließen ließ und damit den Grundstein für das Waldstraßenviertel legte. Am Liviaplatz [18] vereint sich mit prächtigen Fassaden, Erkern und Türmchen alles, was das Waldstraßenviertel ausmacht.

Wohnhaus Funkenburgstraße 29 Leipzig

Wohnhaus Funkenburgstraße 29 Leipzig

In der Funkenburgstraße setzt sich die prächtige Bebauung fort. Hier fallen besonders die vielen Erker an den Fassaden auf. Der Erker hat in Leipzig Tradition. Einst gedacht, die Wohnfläche zu vergrößern, wurden die Erker an der Funkenburgstraße wohl eher gebaut und auf die Straße sehen zu können und um gesehen zu werden.

Der Rundgang folgt nun der Hinrichsenstraße [19]. Das Ariowitschhaus Hinrichsenstraße 14 ist heute ein Jüdisches Begegnungs- und Kulturzentrum. 1928 bis 1931 ließ der Rauchwarenhändler Marcus „Max“ Ariowitsch das Haus durch den Architekten Emil Franz Hänsel als Israelitisches Altersheim erbauen.

Vorbei an Wohnhäusern mit klassizistischen Fassaden erreicht man wieder die Gustav-Adolf-Straße und über die Jacobstraße die Leipziger Innenstadt.

Skizze zum Rundgang durch das Waldstraßenviertel in Leipzig

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Quelle:
Georg Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, Sachsen II, Regierungsbezirke Leipzig und Chemnitz, Deutscher Kunstverlag München Berlin, 1998
amtliche Denkmalliste des Landesamtes für Denkmalpflege Sachsen bei wikipedia.de

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