Geschichte & Geschichten

Architektur der Jahrhunderte in Leipzig – Klassische Moderne

Bauen zwischen den Weltkriegen in Leipzig

Neues Grassimuseum Leipzig, Fassade Querbau

Neues Grassimuseum Leipzig

Das Bauen der Zwanziger Jahre findet nicht zwischen 1920 und 1929 statt, es beginnt vor dem 1. Weltkrieg und endet nicht 1933. Was als das Bauen der Zwanziger Jahre bezeichnet wird, hat seine Ursprünge weit vor dem 1. Weltkrieg, in den Bauten von Henry van de Velde oder den Ideen des Deutschen Werkbundes beispielsweise. Die Ideen jener Zeit wirken weit bis in das 20. Jahrhundert hinein und prägen bis heute die Formensprache der Architektur.

Die gesellschaftliche und politische Verwirrung nach dem verlorenen 1. Weltkrieg in Deutschland führte zu einem Neubeginn beim Bauen. Die Architekten standen vor der Frage, in welcher Formensprache sie nun bauen sollten, auch angesichts gewaltiger Aufgaben, vor allem im Wohnungsbau. Einigkeit herrschte nicht. Henry van de Velde hatte propagiert, dass Architektur ein Gesamtkunstwerk sein müsse. Hermann Muthesius vom Deutschen Werkbund hingegen forderte die Ausrichtung der Bau- und Produktgestaltung auf die Parameter der industriellen Produktion.

Die Grundlagen der modernen Architekturentwicklung lagen in den Industriebauten der Jahre vor dem 1. Weltkrieg. Peter Behrens in Berlin und Walter Gropius in Alsfeld schufen die Prototypen der Architektur, die nach 1918 wegweisend werden sollte.

Die Architektur der Zwanziger Jahre beginnt 1914 mit der Werkbundausstellung in Köln.

Wohnbauten an der Thaerstraße in Eutritzsch

Wohnbauten an der Thaerstraße in Eutritzsch

Die Architektur in Leipzig war Anfang des 20. Jahrhunderts war geprägt von der international dominierenden Buchkunst, von der progressiven Aktivität des Grassimuseums und vom Deutschen Werkbund. Mit der Internationalen Bauausstellung 1913 in Leipzig kam ein Impuls von außen in die Messestadt, der sich nachhaltig auf das Bauen der Stadt bis zum 2. Weltkrieg und darüber hinaus auswirken sollte.

Die Architekten standen nach 1918 nicht vordringlich vor der Aufgabe, repräsentative Gesellschafts- und Messebauten zu errichten. Sie standen vor der schier unlösbar scheinenden Aufgabe, die Wohnungsnot zu lindern. So liegt der Schatz der Leipziger Architektur dieser Zeit in den Wohnanlagen, die in den äußeren Stadtteilen zahlreich entstanden.

Beeinflusst durch die Künstler der Brücke nimmt die Architektursprache expressive Züge an. Ausdruck von Spontanität, Rhythmik der Bewegung und Intensität der sinnlichen Wahrnehmung wurden bewusst dem Gestaltungsausdruck des Historismus und des Jugendstils entgegengesetzt.

Elefantenhaus im Leipziger Zoo

Elefantenhaus im Leipziger Zoo

Der seit 1920 im städtischen Besitz befindliche Zoo nutzte diese neue Formensprache für seine Gebäude.

1919 wurde in Weimar das Bauhaus gegründet. Mit dem Begriff Bauhaus werden heute nicht nur dort entwickelte Formensprache bezeichnet, Bauhaus beschreibt heute eine komplexe Idee der modernen Gestaltung des 20. Jahrhunderts. 1923 formuliert Walter Gropius die Einheit von Kunst und Technik – die Form folgt der Funktion wird zum Leitspruch des modernen Bauens. Die Architekten der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts weichen immer mal wieder von diesem Leitspruch ab, kehren aber auch immer wieder zu ihm zurück.

14 Jahre existierte das Bauhaus, zuerst in Weimar, dann in Dessau, zum Schluss in Berlin. 14 Jahre, die Architektur, Design und Lebensart bis heute prägen.

Wohnhaus in Gohlis

Wohnhaus in Gohlis

Art Déco contra Bauhaus – das prägt auch das Bauen der 20er Jahre in Leipzig. Modern zu Bauen erfordert einen progressiv denkenden Bauherren. Art Déco war der bevorzugte Dekorationsstil der Mehrheit der Bevölkerung. Ein bisschen Zierrat muss eben sein. Selbst das fortschrittliche Leipziger Grassimuseum konnte nicht völlig darauf verzichten.

Erst um 1930 verschwindet das Art Déco aus der Architektursprache, um der Neuen Sachlichkeit Platz zu machen. Die Rückbesinnung auf die antike Tradition führt zu einer Renaissance des Klassizismus, jedoch unter Verzicht auf die Formenvielfalt und die Reduktion auf die wesentlichen Architekturelemente.

1933 wird das Bauhaus aufgelöst. Die Ideen der Bauhausmeister gehen im Geschrei des Nationalsozialismus und in dem „Zurück zur deutschen Baukultur“ unter. Wirklich? Der Umgang mit dem Bauhaus war nach 1945 in beiden deutschen Staaten schwierig. In den 1950er Jahren erfolgt in der DDR die Fortführung des Bauens „in der Nationalen Tradition“. Erst Ende der 1950er Jahre erfolgt der allmähliche Wandel zur Moderne auch in der DDR.

Europahaus am Augustusplatz in LeipzigStadtbaurat Hubert Ritter wollte Leipzig in den 1920er Jahren ein großstädtisches Gepräge geben. Sein Plan sah vor, den Leipziger Innenstadtring mit achtgeschossigen Wohnbauten zu bebauen und an städtebaulich wichtigen Punkten Hochhäuser zu platzieren. Fehlender Bedarf und fehlende Mittel ließen diesen Plan scheitern, bis auf ein Gebäude – das Europahaus.

Die Entwürfe neuer Bauten in Leipzig nach 1918 waren traditionell. Stahl, Glas, polierter Stein, Messing gehörten nicht zur Formensprache der Architektur. Es mögen wirtschaftlichen Zwänge gewesen sein. Kleinteilig gegliederte Fenster, Spitzbögen der Gotik und Pfeilervorlagen an den Fassaden prägen das Bauen der frühen 1920er Jahre.

Das Europahaus wurde von Otto Paul Burghart 1928 bis 1929 errichtet. Zwei Jahre vorher, 1927 bis 1928 entstand Leipzigs erstes Hochhaus, das Krochhaus. Leipzig sieht sich gern als moderne und weltoffene Stadt. Beim Bauen waren die Leipziger Bauherren dann doch eher traditionalistisch eingestellt. Man wollte gediegene Neuartigkeit, aber bitte nicht allzu modern.

Krochhaus am Augustusplatz in Leipzig

Krochhaus am Augustusplatz in Leipzig

Europahaus und Krochhaus sind Stahlskelettbauten mit Kalksteinverkleidung. Für das Krochhaus steht der Uhrturm auf dem Markusplatz in Venedig als Vorbild. Im Auftrag des Bankiers Hans Kroch plante der Münchener Architekt German Bestelmeyer das Gebäude. Den Abschluss bilden die Glockenschlägerplastiken, geschaffen von Josef Wackerle. Auch innen besticht das Haus durch seine Art-Déco-Ausstattung mit dem Neptunbrunnen aus Terrakotta mit der vergoldeten Figur des Meeresgottes.

Der wohl bedeutendste Bau im Stil des Art Déco in Leipzig ist das Neue Grassimuseum am Johannisplatz. 1925 bis 1929 nach dem Städtebaulichen Entwurf von Hubert Ritter durch die Architekten Carl William Zwick und Hans Voigt errichtet, versteht es das Haus, das konische Grundstück optimal auszunutzen und trotz der enormen Größe des Museums eine Leichtigkeit zu zeigen.

Das Süßwarenmessehaus in der Grimmaischen Straße ist eines der wenigen Gebäude in Leipzig, die man dem Bauhausstil zuordnen kann. 1928 bis 29 durch Curt Schiemichen erbaut, wird die schlichte Fassade durch horizontale Fensterbänder gegliedert. Die einstige Gliederung durch Licht und Schrift ist nicht erhalten geblieben.

Specks Hof wurde in drei Abschnitten durch Emil Franz Hänsel gebaut, 1908 bis 1909, 1911 und schließlich der letzte Bauabschnitt 1928 bis 1929 gegenüber der Nikolaikirche. Sind die beiden ersten Bauteile noch geprägt durch den Reformstil, zeigt der letzte Bauabschnitt Gestaltungsmerkmale des Art Déco.

Die Untergrundmesshalle unter dem Markt entstand aus der Not der schnell anwachsenden Messe und des fehlenden Platzes in der Innenstadt. 1924 wurde die erste und auch einzige Untergrundmessehalle der Welt gebaut, Architekt war Otto Droge. Auf 1800 m² konnten 175 Aussteller ihre Waren präsentieren. Die Untergrundmessehalle wurde für den Bau der S-Bahn-Station abgerissen, erhalten blieb der Treppenabgang.

Messehaus Petershof Leipzig

Messehaus Petershof in Leipzig

Das Messehaus Petershof in der Petersstraße, 1927 bis 1929 erbaut durch den Architekten Alfred Liebig erbaut, gehört zur Formensprache der Neuen Sachlichkeit. Die Fensterlaibungen treten markant hervor, die übergroße Lichthofhalle wurde mit Siegersdorfer Baukeramik gestaltet. Nach Zerstörung im 2. Weltkrieg wurde das Messehaus Petershof bereits 1946 wiederaufgebaut. Sieben überlebensgroße Figuren prägen die Straßenfront. Sie wurden 1938 entfernt, da ein Mitfinanzierer, der Bankier Hans Kroch, Jude war. 1994 wurden die Figuren neu geschaffen, die zweite Figur von rechts zeigt den Architekten Liebig.

Concentra-Haus Leipzig

Concentra-Haus Leipzig

Nicht weit entfernt vom Petershof steht das Concentrahaus, 1920 von Otto Droge erbaut als Mustermessehaus. Entgegen der Untergrundmessehalle verwendet Droge hier nicht den Dekorationsstil des Art Déco, sondern baut eher traditionalistisch.

Gleich neben dem Concentrahaus steht das ehem. Kaufhaus Woolworth, dessen Fassade leider nicht original erhalten blieb. Auch diese Gebäude lässt sich dem Bauhausstil zuordnen. Die Idee der durchgängigen Glasfassade kam sicher mit Woolworth aus Amerika nach Leipzig.

Das Merkurhaus am Ende der Petersstraße wurde 1937 durch Karl Fetzner erbaut. Der wuchtige Bau im Stil der Neuen Sachlichkeit verfolgte das Ziel, Zweckmäßigkeit und Klarheit in der Fassade auszudrücken. Das ehemalige Textilkaufhaus wurde symbolisch unter den Schutz des Handelsgottes Merkur gestellt.

Merkurhaus Leipzig

Merkurhaus Leipzig

Außerhalb der Innenstadt liegt der wahre Schatz der Stadt Leipzig, zumindest was das Bauen der 1920er Jahre angeht. Zahlreiche Wohnhäuser und Wohnanlagen entstanden, einzelne Villen und öffentliche Bauten.

In Gohlis steht die Villa Richter, 1928 durch den Kunsthändler und Architekten Willy Richter erbaut. Die kubische Bauform folgt dem Gestaltungsprinzip des Bauhauses, die Form folgt der Funktion. In der Marienbrunnenstraße 8 b steht die Villa des Architekten Alfred Liebig, 1929 erbaut. Der kubische Baukörper mit Flachdach ist durch Klinker und keramische Bauplastik gegliedert.

Nibelungensiedlung (Rundling) in Lößnig

Nibelungensiedlung (Rundling) in Lößnig

Zwei Großsiedlungen in Leipzig lassen sich in die Reihe der bedeutendsten Siedlungen der 1920er Jahre in Deutschland aufnehmen – die Krochsiedlung in Gohlis-Nord und der Rundling in Lößnig. 1929 bis 1930 ließ der Bankier Kroch in nur 46 Wochen Bauzeit 1.019 Wohnungen in traditioneller Bauweise durch Paul Mebes und Paul Emmerich aus Berlin errichten. Die in versetzter Zeilenbauweise errichteten Wohnbauten mit quer gestellten Kopfbauten sind betont funktional ausgeführt.

Der Rundling wurde 1929 bis 19380 durch Stadtbaurat Hubert Ritter errichtet. Ritter nutzt das leicht ansteigende Gelände um eine städtebaulich spannende Situation durch drei- und viergeschossige Wohnbauten zu erreichen, die um einen zentralen, grünen Platz angeordnet sind.

Gohlis, Ev. Versöhnungskirche

Gohlis, Ev. Versöhnungskirche

In Gohlis-Nord steht auch einer der bedeutendsten Kirchenbauten dieser Zeit, die Versöhnungskirche. Hans Heinrich Grotjahn errichtete den wuchtigen Kirchenbau 1930 bis 1932.

Die Mehrzahl der Wohnbauten in Leipzig aus den 1920er Jahren folgen den Gestaltungsprinzipien des Art Déco. Bedeutende Siedlungen entstanden an der Schönefelder Allee in Schönfeld, in der Thaerstraße in Eutritzsch, in der Südvorstadt zwischen Altenburger Straße und Arthur-Hoffmann-Straße aber auch in vielen anderen Stadtteilen Leipzigs.

Die Bethanienkirche in Schleußig, 1931 bis 1933 durch William Zweck und Hans Voigt erbaut, die Architekten des Neuen Grassimuseums verbanden bei der Kirche Heimatstil, funktionales Bauen und Art Déco zu einem monumentalen und auch eindrucksvollen Bauwerk.

Die Bonifatiuskirche in Connewitz ist Gotteshaus und Denkmal für 1.500 gefallene katholische Kaufleute im 1. Weltkrieg. Theo Burlage schuf einen Rundbau mit rechteckigem Eingang und Turm.

Ein weiterer Monumentalbau ist die ehem. Großmarkthalle an der Zwickauer Straße. Zwei freitragende Kuppel mit einem Durchmesser von 75 Metern ließ Stadtbaurat Hubert Ritter errichten. Otto Droge erbaute 1929 die Ingenieurschule für Polygraphie am Gutenbergplatz als funktionalen Schulbau.

Konsumzentrale Leipzig-Plagwitz

Konsumzentrale Leipzig-Plagwitz

Zu den herausragendsten Gebäuden der 1920er Jahre in Leipzig gehört die ehem. Konsumzentrale in Plagwitz. 1929 bis 1932 errichtete Fritz Höger, der Architekt des Chilehauses in Hamburg, den wuchtigen Bau, der in seiner Gestaltung an den Aufbau eines Dampfers erinnert.

Die 1926 erbaute ehem. Oberpostdirektion in der Karl-Liebknecht-Straße gehört zu den wenigen expressionistischen Großbauten in Leipzig, ebenso wie das ehem. Funkhaus in der Springerstraße. Als Verwaltungsgebäude einer Versicherungsgesellschaft wurde der dreiflügelige Baukomplex 1929 nach Plänen von Emil Franz Hänsel errichtet. Gleichmäßige Fensterreihen sind in einen teppichartigen Hintergrund von Klinkerrhomben eingefügt. Kräftige Klinkerlagen an den Gebäudekanten bilden den Rahmen für diese in Leipzig sonst kaum anzutreffende Variante des Ziegelexpressionismus. Die expressionistische Postgebäude an der Lilienstraße in Reudnitz fällt besonders mit seine drei grimmig schauenden Köpfen auf.

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Quellen:
Wolfgang Hocquél: Leipzig Architektur von der Romanik bis zur Gegenwart, Passage Verlag Leipzig, 2010
Wolfgang Hocquél: Leipzig Baumeister und Bauten, Tourist Verlag Berlin Leipzig, 1990

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Autor: Mirko Seidel am 12. Nov 2019 08:59, Rubrik: Geschichte & Geschichten, Stadt Leipzig, Kommentare per Feed RSS 2.0, Kommentar schreiben,


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