Geschichte & Geschichten
Architektur der Jahrhunderte in Leipzig – Jugendstil
Der Jugendstil bestimmt das Bauen um die Wende vom 19. Zum 20. Jahrhundert. Doch nicht ausschließlich. Das Bauen in den Formen des Historismus und des Eklektizismus hält sich hartnäckig. Progressive Architekten verweigern sich dem Jugendstil und schließen sich der Reformbewegung an. Auch der Name Jugendstil gilt nur für Deutschland. In Österreich heißt es Secessionsstil, Modernisme in Spanien, in Russland Modern, Art Nouveau in Frankreich, Modern Style in Großbritannien und Floreale in Italien. Seinen Ursprung hat der Jugendstil in Frankreich, seinen deutschen Namen hat er nach der künstlerischen Wochenzeitschrift Jugend, die erstmals im Mai 1896 in München erschien.Eine einheitliche Formensprache entwickeln die Künstler und Architekten des Jugendstils nicht. Es überwiegt zwar der florale Jugendstil, der spielerisch Naturmotive und menschliche Darstellungen verbindet. Daneben gibt es aber auch den geometrischen Jugendstil, den Kubismus, den Symbolismus und in der Spätphase kurz vor dem ersten Weltkrieg setzt sich der Expressionismus auch im Bauen durch.
Leipzig besitzt den wohl größten erhaltenen Bestand an Gebäuden, die Architekturmerkmale des Jugendstils aufweisen – wohlgemerkt Architekturmerkmale, den reine Jugendstilgebäude, die auf die Formensprache des Historismus völlig verzichten, gibt es nur wenige. Im Stadtzentrum, aber vor allem in den Stadtteilen Gohlis, Plagwitz, Leutzsch, im Waldstraßenviertel und in Stötteritz stehen zahlreiche dieser Gebäude aus der Zeit um 1900. Auch öffentliche Gebäude bedienen sich der neuen Formensprache, wie das im Stil der Neorenaissance erbaute Neue Rathaus und die Schalterhallen des Leipziger Hauptbahnhofs. Der wohl bedeutendste Architekt des Jugendstils in Leipzig war Paul Möbius (1866 bis 1907), ca. 40 Mehrfamilienhäuser, Villen und Geschäftshäuser plante und errichtete. Weitere namhafte Jugendstilarchitekten in Leipzig waren Fritz Drechsler, Max Pommer, Paul Lange und Emil Franz Hänsel.Die oft überfrachteten Fassaden des Historismus, der Formenmix des Eklektizismus und die immer weiter fortschreitende Entfernung des Menschen von der Natur waren einigen Künstlern und Architekten ein Dorn im Auge. Zurück zur Natur, Mensch und Natur als Einheit – das war das Gegenkonzept zur Industrialisierung. Gegenwind gab es demzufolge auch.
Der reine, überschwängliche, farbenfrohe Jugendstil hatte es in Leipzig schwer. Die Leipziger Architekten vermischten Historismus und Jugendstil und entwickelten die eigene Formensprache des gemäßigten Historismus, also dem Reformstil. Betonung der Vertikalen, teils monumentale Fassadengestaltungen mit Säulen und große Fensterflächen prägen die Großbauten in Leipzig ab etwa 1900 – aber dich immer vermischt mit etwas Jugendstil.
Eindrucksvollster städtischer Bau dieser Zeit der Stilmixe ist das Neue Rathaus. Bis 1905 entstand am südwestlichen Rand der Innenstadt ein Monumentalbau, auf den ersten Blick im Stil der Neorenaissance, dem der Architekt Hugo Licht und die Künstler jedoch Jugendstilelemente verpassten.Zwei Kirchen entstanden in dieser Zeit in Leipzig – die Michaeliskirche am Nordplatz und die Philippuskirche in Neulindenau. Bei beiden Kirchenbauten sind die Formen des Historismus und des Jugendstils vermischt.
In der Innenstadt von Leipzig kann man auch einige Gebäude entdecken, die Formen des Jugendstils aufweisen. So z.B. sind Steibs Hof, der in seiner Gestalt dem Reformstil zuzuordnen ist, in der Hauptachse jedoch eindeutige Merkmale des Jugendstils aufweist.
Stentzlers Hof in der Petersstraße, im 1. Weltkrieg 1914 bis 1916 erbaut, adaptiert ebenfalls wie das nicht weit entfernte Neue Rathaus die Neorenaissance, verweist aber mit seinem figürlichen, eigenwillig anmutenden Schmuck ebenso auf den Jugendstil.
Zwei weitere Jugendstilgebäude stehen in der Petersstraße, die Geschäftshäuser Nr. 18 (1912 bis 1913) und 22 (1910 bis 1991) rahmen das Messehaus Petershof ein. Die beiden sehr schmalen Gebäude, die damit auch Zeugnis der mittelalterlichen Grundstücksstruktur in Leipzig sind, zeigen auf sehr eindrückliche Weise den Leipziger Reformstil mit Anklängen des Jugendstils.
Der Erweiterungsbau des Messehauses Reichshof in der Grimmaischen Straße 9 zählt zu den wenigen Gebäuden, die man als stilreinen Jugendstil in der Leipziger Innenstadt ansehen kann. Das Geschäftshaus Grimmaische Straße 21 ist da sehr viel zurückhaltender.
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Quellen:
Wolfgang Hocquél: Leipzig Architektur von der Romanik bis zur Gegenwart, Passage Verlag Leipzig, 2010
Wolfgang Hocquél: Leipzig Baumeister und Bauten, Tourist Verlag Berlin Leipzig, 1990
Autor: Mirko Seidel am 11. Nov 2019 09:54, Rubrik: Geschichte & Geschichten, Stadt Leipzig, Kommentare per Feed RSS 2.0, Kommentar schreiben,
Gut gemacht! Eine sehr informative, fundierte Seite. Ich will demnächst meine Website http://www.jugendstil-in-karlsruhe.de runderneuern und schaue mir an, was es in anderen Städten so gibt. Vielen Dank, Herr Seidel, und viele Grüße ins schöne Leipzig! Friedemann Schäfer
Viele Dank und viele Grüße nach Karlsruhe.