Geschichte & Geschichten

Das Paulinum Leipzig – die moderne Antwort auf 800 Jahre Stadtgeschichte

Augusteum und Paulinum am Augustusplatz Leipzig

Augusteum und Paulinum am Augustusplatz Leipzig

Leipzig hat eine neue Sehenswürdigkeit – das Paulinum, die Aula und Universitätskirche am Augustusplatz. Der Ort, an dem Universität und Paulinum stehen, atmet 800 Jahre Stadtgeschichte.

Alles begann im Jahr 1217. Markgraf Dietrich I. von Meißen wollte verhindern, das Leipzig Freie Reichsstadt wird. Er handelt einen Kompromiss mit den Leipziger aus, hintergeht sie, reißt ihre Stadtmauer ab und lässt drei Zwingburgen errichten – eine an der Stelle, an der heute die Universität steht.

Glücklich wurde Dietrich nicht, 1221 wird er von seinem Leibarzt vergiftet, die Leipziger sollen den Arzt dazu angestiftet haben. Die Burg wurde nicht mehr gebraucht, die Familie von Wahren, der das Gelände nun gehörte, wusste auch nichts damit anzufangen und übergab es einem Orden. 1231 begann am Platz neben dem Grimmaischen Tor der Bau einer Kirche durch den Dominikanerorden. Geweiht wurde die Paulinerkirche 1240.

Die Paulinerkirche in 17. Jahrhundert

Die Paulinerkirche in 17. Jahrhundert

Den Lebensgewohnheiten eines Bettelordens folgend, war die Kirche mit einschiffigem Chor und dreischiffigem Langhaus ausgeführt worden, ohne Turm.
1409 wurde die Universität Leipzig gegründet, zunächst in Gebäuden des Landesherren an der Ritterstraße. Die Paulinerkirche ist seit Gründung der Universität eng mit ihr verbunden. Die Kirche war jahrhundertelang bevorzugter Begräbnisort für Universitätsangehörige.

Pfingsten 1539 predigte Martin Luther in der Leipziger Thomaskirche und führt im Herzogtum Sachsen die Reformation ein. Das Dominikanerkloster wurde aufgelöst und säkularisiert. 1543 werden die Gebäude des Klosters, alle Besitzungen und die Klosterbibliothek der Universität übergeben.

1545, wenige Monate vor seinem Tod, weihte Martin Luther die Paulinerkirche als evangelische Universitätskirche. Der Kirchenraum diente als Gottesdienstraum und als Aula für akademische Festakte. Die Orgel von Johann Scheibe wurde 1717 durch Johann Sebastian Bach geprüft.

Während der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 diente die Paulinerkirche als Gefangenenlager und Lazarett.

Paulinerkirche 1948

Paulinerkirche 1948

Um 1830 wurde nach der Niederlegung der Stadtbefestigung eine Neugestaltung des Platzes vor dem ehemaligen Grimmaischen Tor notwendig. 1831 bis 1836 errichtete Albert Geutebrück das Augusteum als neues Universitätsgebäude. Die an die Kirche im Süden angrenzenden ehemaligen Klostergebäude wurden abgerissen. Der Neubau der Universität erforderte auch eine Neugestaltung des Schaugiebels der Paulinerkirche zum Augustusplatz.
Eine nochmalige Umgestaltung erfuhren Augusteum und Paulium 1897 durch Arwed Roßbach. Am Westgiebel der Kirche wurde ein campanileähnlicher Turm errichtet.

Dieses Gebäudeensemble prägte die Westseite des Augustusplatzes bis zur Zerstörung im 2. Weltkrieg. Die Paulinerkirche wurde 1943 bei einem Luftangriff nur leicht beschädigt, das Augusteum brannte aus. Zwischen 1946 und 1968 wurde die Kirche u.a. von der katholischen Propsteigemeinde genutzt, deren Kirche zerstört wurde.

Die Planungen nach dem 2. Weltkrieg sahen vor, den Augustusplatz, der inzwischen Karl-Marx-Platz hieß, zum politisch-kulturellen Zentrum der sozialistischen Großstadt Leipzig umzugestalten. In dieses Konzept passte keine Kirche. Im Mai 1968 war die Sprengung der Kirche beschlossene Sache. In einer Notbergung wurden Teile der wertvollen Ausstattung geborgen, innerhalb von zwei Tagen. Die Orgel konnte vor der Vernichtung bewahrt werden, wurde jedoch unter Zeitdruck unsachgemäß demontiert. Die große Orgel fiel der Sprengung zum Opfer. Achtzig Ausstattungsstücke, darunter mehrere Epitaphien, Grabplatten aus dem 15. Jahrhundert, Holzstatuen aus dem 14. Jahrhundert, ein Kruzifix und 18 liturgische Gerätschaften blieben erhalten. Die Bodenplatten der Kirche wurden vor der Sprengung heimlich herausgerissen, die in einer dreistöckigen Gruft unter der Kirche vorhandenen etwa 800 Gräber geplündert.

Sprengung der Paulinerkirche 1968

Sprengung der Paulinerkirche 1968

Die Sprengung der Paulinerkirche erfolgte am Donnerstag, den 30. Mai 1968 um 9:58 Uhr. Das Gelände war weiträumig abgesperrt, niemand sollte den barbarischen Akt mit der Kamera festhalten. Einigen mutigen Bürgern ist es zu verdanken, das von der Sprengung der Paulinerkirche Bilder existieren.

Anstelle von Augusteum und Paulinum baute die DDR eine neue, sozialistische Universität. Dort, wo sich die Giebelwand der Paulinerkirche befand, erhob sich ein Bronzerelief mit dem Titel Aufbruch, das vom Kopf von Karl Marx, des neuen Namenspatrons der Universität, beherrscht wurde.

Anfang der 1990er Jahre begann die Diskussion um die Neugestaltung der Universität und damit auch die Diskussion um den Wiederaufbau der Paulinerkirche. Zur Erinnerung an die Sprengung brachte der Künstler Axel Guhlmann 1998 an der Wand des Universitäts-Hauptgebäudes die „Installation Paulinerkirche“ an, eine 34 Meter hohe Stahlkonstruktion, welche den Kirchengiebel in Originalgröße nachzeichnete.

Das Paulinum vom Innenhof der Universität Leipzig

Das Paulinum vom Innenhof der Universität Leipzig

Die Universitätsleitung regte den Neubau einer Aula an Stelle der früheren Kirche an. Befürworter eines originalgetreuen Wiederaufbaus schlossen sich in einer Bürgerinitiative. Nach hitziger Diskussion und dem Rücktritt des Rektors und der Prorektoren gewann 2004 der Entwurf des Rotterdamer Architekten Erik van Egeraat, der einen architektonisch modernen und an die Paulinerkirche erinnernden universitären Neubau vorsieht.

Ende 2009 wurde das neue Augusteum eingeweiht. Das neue Paulinum konnte bis dahin nur zum Teil realisiert werden. Somit fehlte der Universität zu ihrer 600-Jahr-Feier eine Aula.

Am 6. Dezember 2009 fand der erste Gottesdienst in dem völlig überfüllten Neubau des Paulinums statt. Eröffnet wurde das neue Paulinum – die Aula und Universitätskirche St. Pauli – am 1. Dezember 2017. Leipzig hat ein Stück Geschichte im modernen Gewand zurückerhalten.

Bildnachweise: Paulinerkirche im 17. Jahrhundert: Von Wikimedia: Foto H.-P.Haack, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7417561
Paulinerkirche 1948, Deutsche Fotothek,
Sprengung der Paulinerkirche, dpa

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Autor: Mirko Seidel am 29. Mai 2018 08:54, Rubrik: Geschichte & Geschichten, Stadt Leipzig, Kommentare per Feed RSS 2.0, Kommentar schreiben,


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